
Sensationell :
Mundipharma gelingt, wovon Purdue Pharma nur träumen konnte.
Spoiler : gemeint ist die erweiterte Zulassung eines Oxycodon Produkts, außerhalb von schwersten Schmerzen. Lady´s and Gentleman…. Targin, by Mundipharma
Kommentar / Meinung :
Wenn Dinge ins Rutschen geraten, beginnt es oft langsam und unmerklich. Doch sobald man es bemerkt, ist es bereits zu spät, und der Abstieg beschleunigt sich unaufhaltsam.
Beginnen wir mit einem Rückblick.
Es war der 12. Dezember 1995, als Purdue Pharma die Zulassung für ihr auf den Wirkstoff Oxycodon basierendes Medikament Oxycontin erhielt. Die zuständige FDA (Food and Drug Administration) erteilte die Zulassung für die Behandlung von mäßig starken bis starken Schmerzen.
Während unter starken Schmerzen Tumorschmerzen zu verstehen sind, ließ die Freigabe für mäßig starke Schmerzen in der Beurteilung und Einschätzung jedoch ein gewisses Vakuum entstehen. In der Folge versuchte Purdue, dieses Vakuum auszunutzen, indem sie Ärzte mit Essenseinladungen oder Geschenken köderten, um sie davon zu überzeugen, Oxycontin auch bei Rücken- oder Kopfschmerzen zu verschreiben.

Zudem wurde ein Prämiensystem für Oxycontin verschreibende Ärzte eingeführt, das nach der verordneten Wirkstoffmenge eine Prämie für den Arzt berechnete. Gleichzeitig bearbeitete Purdue weiterhin die FDA, um auch eine Zulassung für leichte Schmerzen zu erhalten.
Ebenso brachte das Unternehmen neue Oxycontin-Tabletten mit immer höheren Wirkstoffmengen auf den Markt.
Diese Bemühungen haben Purdue Pharma Millionen gekostet – und Milliarden eingebracht. Den Preis dafür bezahlten mehr als 100.000 Amerikaner mit dem Leben. Gutes Marketing kostet halt.
Die Gegenwart :
Auch wenn in Deutschland viele Verantwortliche die berühmten drei Affen mimen, hätte ein Antrag auf Zulassung für leichte Schmerzen zu keinem Zeitpunkt eine reelle Chance gehabt. Die Opioidkrise hat dafür zu viel verbrannte Erde hinterlassen.
Also musste ein neues Anwendungsgebiet her. Mundipharma griff in ihren Zauberhut – und zack kam ein neues Kaninchen hervor. Der Trick: das Restless-Legs-Syndrom (RLS). Das Kaninchen: Targin. Zahlen scheint es nicht zu geben, aber man darf wohl davon ausgehen, dass dies eine Erfolgsgeschichte ist, die Mundipharma Millionen (oder Milliarden?) einbringt.
Da Oxycodon auf dem deutschen Markt bereits eine Zulassung hatte, bedurfte es lediglich einer Erweiterung der Indikation. Diese Hürde nahm Mundipharma mit Targin (Kombipräparat aus Oxycodon + Naloxon) 2017 – ein Erfolg, der Purdue Pharma sicher vor Neid erblassen ließe. Zumal Targin bis heute das einzige Oxycodon+Naloxon-Präparat mit der erweiterten Indikation für RLS ist.
Allerdings liegt die Betonung auf dem deutschen Markt. Denn wer glaubt, dies sei überall so, irrt gewaltig. Ganz im Gegenteil: In einigen Ländern Europas ist der Einsatz von Oxycodon gegen RLS verboten, während andere diese Behandlungsmethode schlichtweg ablehnen und weiterhin auf die bereits vor 2017 erfolgreiche Behandlung mit Dopamin-Agonisten setzen – jenen Medikamenten, die auch bei Parkinson angewandt werden.
So könnte man zu dem Schluss kommen, dass die erweiterte Indikation gar nicht nötig gewesen wäre, wenn es aus medizinischer Sicht bereits eine wirksame Therapie für RLS existierte. Es sei denn … ja, es sei denn, Targin wäre besonders erfolgreich im Kampf gegen RLS.
Targin, wie schon geschrieben, ist eine Kombination aus zwei Wirkstoffen: Oxycodon und Naloxon. Über Naloxon habe ich mich bereits an anderer Stelle ausgelassen. Link: https://markushatschmerzen.de/ueber-oxycodon/

Deshalb hier nur kurz: Naloxon gilt als wirksames Mittel bei einer Überdosis durch Opioide. Früher wurde es nur hochdosiert und separat bei schwerster Überdosierung eingesetzt. In jüngerer Zeit ist es jedoch immer häufiger ein Bestandteil von Oxycodon-Präparaten. Angeblich als Konsequenz aus der Opioid-Krise soll es die Missbrauchsmöglichkeiten von Oxycodon reduzieren.
Mit RLS hat das natürlich gar nichts zu tun. Naloxon hat keinerlei Wirkung auf RLS – das belegen entsprechende Studien. Es ist wohl so eindeutig, dass niemand das Gegenteil behauptet. Die Rechtfertigung für die Zugabe von Naloxon basiert hauptsächlich darauf, dass es Nebenwirkungen von Oxycodon, wie Darmträgheit oder Atemdepression, unterdrückt.
Wenn das so gut funktioniert, könnte man sich die Frage stellen, warum Naloxon nicht jedem Oxycodon-Produkt zugesetzt wird. Und aus eigener Erfahrung heraus könnte ich mir bei vergangenen stationären Aufenthalten die Frage stellen, warum dann trotzdem ständig Abführmittel gereicht werden oder inflationär mit einem Einlauf gedroht wird.

Lassen wir das. Bevor ich zu polemisch werde, halten wir ganz sachlich fest: Naloxon hat keinerlei Einfluss auf RLS. Aber es wird ein gewisser Anschein erzeugt – zwei Präparate in einem. Das muss funktionieren. Das muss gut sein. Das ist speziell. An dieses Medikament kann ich glauben. Alles Nebelkerzen. Naloxon ist RLS egal. RLS ist Naloxon egal.
Bleibt als Wirkstoff Oxycodon übrig – das heroingleiche Präparat gegen Tumorschmerzen.
Laienhaft könnte man denken, dass die Gabe von Oxycodon gegen zittrige, unruhige Beine dem sprichwörtlichen Schießen mit Kanonen auf Spatzen gleicht.
Ehrlicherweise und der Vollständigkeit halber gehört zur Wahrheit auch, dass dopaminhaltige Medikamente ebenfalls keinen Spaß machen. Aber das ist ein eigenes Thema.
Diese Seite nennt genügend Quellen dafür, was Oxycodon beziehungsweise Heroin im Körper zerstören kann. Mit modernen Worten würde man wohl von Kollateralschäden sprechen. Ein Beipackzettel informiert den Patienten über mögliche Nebenwirkungen, die auch bleibende Schäden verursachen können.
Unten rechts sind drei Beipackzettel von Oxycodon zur Ansicht gestellt. Mundipharmas Oxygesic und Oxycodon von Hexal werden dort als hochwirksame Schmerzmittel gegen mittelstarke bis starke Schmerzen dargestellt. Bei Targin, dessen Existenzberechtigung in der alternativen Behandlung des RLS liegt, erhält zunächst die gleiche Beschreibung. Erst danach folgen die Hinweise zu RLS.
Was mich aber überrascht hat, ist, dass Targin die Nebenwirkungen nach Einsatzgebiet auflistet. So werden einmal die Nebenwirkungen von Targin beim Anwendungsgebiet „Schmerzen“ aufgezählt, um anschließend gesondert die Nebenwirkungen beim Anwendungsgebiet „RLS“ darzustellen.
Was auffällt: Beim Anwendungsgebiet „Schmerzen“ werden für Targin mehr Nebenwirkungen genannt als beim Anwendungsgebiet „RLS“. Für mich als medizinischen Laien stellt sich die Frage, wie das sein kann. Ein und derselbe Wirkstoff soll bei Schmerzen mehr Kollateralschäden anrichten können als beim Einsatz gegen RLS?
Denkbar wäre, dass dies vor allem daran liegt, dass Targin noch relativ jung auf dem Markt ist – im Vergleich zu purem Oxycodon. Und es bedarf vermutlich einer gewissen Anzahl an Meldungen von Nebenwirkungen, bis diese dann auch in einem Beipackzettel aufgeführt werden.
Nur stelle ich mir dann auch die Frage, warum es keine gesonderte Kategorie für Nebenwirkungen gibt, betreffend Patienten
Beipackzettel Targin, Mundipharma
Beipackzettel Oxycodon, Hexal
Beipackzettel Oxygesic, Mundipharma
die Targin sowohl gegen Schmerzen als auch gegen RLS einnehmen. (Spoiler: Bis zum Ende des Frühjahrs werde ich eine Reihe von Nebenwirkungen melden. Dabei werde ich mich an alle dafür nötigen Regeln und Formvorschriften halten, denn ich erlaube mir da keinen Spaß – ich meine das ernst.)
Ebenso fällt auf, dass im Beipackzettel von Targin gar kein großer Wirbel um das ach so tolle Naloxon gemacht wird. Es wird erwähnt, aber viel mehr auch nicht.
Ebenso fällt auf, dass im Beipackzettel von Targin gar kein großer Wirbel um das ach so tolle Naloxon gemacht wird. Es wird erwähnt, aber viel mehr auch nicht.
Das führt mich zu der Frage, ob es weltweit irgendeinen RLS-Patienten gibt, der behauptet, Targin helfe ihm – wie und warum auch immer – mehr als irgendein Medikament mit Oxycodon, aber ohne Naloxon.
The Great Ibuprofen Swindle
Wie sich das alles für mich darstellt, möchte ich an einem Vergleich festmachen. Vermutlich kennt jeder Ibuprofen – bis zu einem Wirkstoffanteil von 400 mg ist es auch ohne Rezept erhältlich. Viele greifen (zu) schnell zu Ibuprofen bei Kopfschmerzen. Vor Jahren tauchten dann plötzlich Ibuprofen-Tabletten mit 400 mg auf, die als Zusatz Koffein enthielten. Ob die versprochene Wirkung jemals nachgewiesen werden konnte, habe ich nicht herausgefunden, aber entsprechende Hersteller bewarben diesen Koffein-Zusatz damit, dass nun der Wirkstoff Ibuprofen schneller ins Blut transportiert werde. Super Sache für den kopfschmerzgeplagten Patienten, wenn es mehr wäre als bloße Suggestion.
Fun Fact: Natürlich soll man Ibuprofen mit Wasser einnehmen und nicht mit Cola oder Kaffee. 🙂
Letztendlich zählt der Spott aber nicht. Irgendein verantwortlicher Depp hatte Ibuprofen mit Koffein jedenfalls seinerzeit eine Zulassung gegeben. Das freute die Marketingabteilung: Es gab nun ein suggeriert neues Medikament mit suggerierter Blitzwirkung. Ein Ibuprofen-Präparat unter vielen – aber nun mit einem Alleinstellungsmerkmal, für dessen suggerierte Blitzwirkung der kopfschmerzgeplagte Mensch bereitwillig mehr bezahlt.
Bevor ich nun wieder zum Oxycodon zurückkehre, hat der Patient mit Kopfschmerzen längst verstanden, dass der Koffein-Zusatz nur ein Marketing-Gag mit amtlicher Zulassung war. Ibuprofen 400 + Koffein ist weitgehend aus den Regalen verschwunden.
Und noch ein Hinweis: Ibuprofen hat auch Nebenwirkungen. Laut Beipackzettel zum Beispiel … Kopfschmerzen.
Zurück zu Targin – diesem zauberhaften Produkt der ebenso zauberhaften Pharmaindustrie, finanziert von selbstlosen Investoren. Gaaaaaanz sicher.
Zeit also, sich zu bedanken.
Doch halt – eine Sache müssen wir noch klären.
Die Beantwortung dieser Frage entscheidet darüber, ob ein Patient mit oder ohne Opiate behandelt wird.
Wieso hat Oxycodon, respektive Targin Unruhe, Nervosität und Tremor als häufige Nebenwirkung. Und ab wann ist ein Tremor mit Unruhe ( = den Zwang aufzustehen ?) sowie Nervosität (= ständiges Füße tippeln?) noch ein Tremor mit Unruhe und Nervosität oder doch schon ein Restless Legs Syndrom ?
Und die Antwort entscheidet auch darüber, ob die Pharma Industrie ein eher preiswertes Generika Rezept erhält, oder ob Mundipharma den Zuschlag mit dem deutlich teureren Targin erhält.
Das Thema wird fortgesetzt. Zunächst mit einem Erfahrungsbericht über Oxycodon, bzw. Targin. Dauert aber noch 🙂

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