
Meine Wegbeschreibung zum Targin – Ein Erfahrungsbericht
Zwecks Recherche habe ich meine diversen Unterlagen zu meinen verschiedenen Krankheiten durchstöbert. Bezüglich des Restless-Legs-Syndroms war ich dann ziemlich überrascht, als ich in einem Ärztebrief/Entlassungsbrief las, was dort vermerkt war. Das Hauptthema dieses Briefes war meine Operation wegen Hodenkrebs. Da der Krebs auch in die Lymphen gestreut hatte, beendete dieser Brief auch meine stationäre Chemotherapie. In einem Nebensatz wurde erwähnt, dass der Patient (also ich) während des stationären Aufenthalts über zuckende Beine klagte. Der Rat dazu: eine neurologische Abklärung.
Das war im Jahr 2014 – ein Zeitpunkt, an dem ich dachte, das Schlimmste läge hinter mir. Ich glaube jedenfalls nicht, dass ich den Brief damals überhaupt gelesen habe – geschweige denn, dass ich irgendetwas habe abklären lassen. Stattdessen: Augen zu, abhaken, verdrängen.Wurde ich von wem auch immer gefragt, wie meine Zeit mit dem Krebs war, antwortete ich stets: „Irgendwann hat ein Arzt gesagt, du bist krank. Irgendwann hat der Arzt gesagt, du bist gesund. Und dazwischen war halt Abenteuer.“
Tatsächlich darf ich bis heute annehmen, dass die Chemotherapie meinen Krebs erfolgreich besiegt hat. (Dass ich heute wieder mit Krebs zu tun habe, ist ein anderer Typ.) Wahrscheinlich hat die Chemotherapie aber noch etwas anderes bewirkt – etwas, das ich immer so beschrieben habe: Meine „eingebaute Achillesferse“ wurde geweckt.
Mit „eingebauter Achillesferse“ meine ich, dass ich im Alter von fünfzehn Jahren eine Bandscheiben-OP hatte. Der damals operierende Arzt, Professor Jürgen Menzel vom Klinikum Köln-Merheim, hielt die OP für alternativlos – andernfalls würde ich bald im Rollstuhl sitzen. Ärzte, die mich nach der OP behandelten, bezeichneten die Entscheidung später als Katastrophe – mitten im Wachstum.
In den folgenden Jahren wurde diese „Katastrophe“ dann deutlich: Weitere Operationen wurden notwendig, und dennoch bin ich seither chronischer Schmerzpatient mit einer täglich verordneten Dosis Oxycodon.
Viele Jahre später gelang es, meinen Rücken einigermaßen zu stabilisieren – aber es war fragil.
Was ist das Restless Legs Syndrom
Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) ist eine neurologische Erkrankung, die durch einen unangenehmen Bewegungsdrang in den Beinen (seltener auch in den Armen) gekennzeichnet ist. Die Symptome treten vor allem in Ruhephasen auf.
Die typischen Anzeichen sind:
🔹 Unangenehme Empfindungen: Kribbeln, Ziehen, Brennen oder Schmerzen in den Beinen, manchmal in den Armen.
🔹 Bewegungsdrang: Der unwiderstehliche Drang, die Beine zu bewegen, um das unangenehme Gefühl zu lindern.
🔹 Verstärkung in Ruhe: Symptome treten meist im Sitzen oder Liegen auf und verschlimmern sich abends und nachts.
🔹 Besserung durch Bewegung: Gehen oder Dehnen lindert die Beschwerden meist vorübergehend.
🔹 Schlafstörungen: Da die Symptome oft nachts auftreten, führt RLS häufig zu Schlafproblemen.
Immer wieder hatte ich akute Bandscheibenvorfälle. Genau diese Fragilität, das ständige Aufpassen auf jede Bewegung – das war meine „eingebaute Achillesferse“.

Und dann, mit Abschluss meiner Chemotherapie, erlitt ich ständig aktive Bandscheibenvorfälle. Eine OP galt lange als keine Alternative, weil bereits zu viele Eingriffe erfolgt waren.
Tatsächlich erlitt ich meinen ersten heftigen Bandscheibenvorfall, der dann der Beginn einer ganzen Serie darstellte während der ersten Woche meiner stationären Chemotherapie.
2016 war es dann so weit: Ich bettelte förmlich um eine weitere OP. Die Uniklinik Köln lehnte ab, und so landete ich wieder in Merheim. Trotz meiner negativen Erfahrungen wollte ich einfach nur, dass die Schmerzen verschwanden – und dass ich endlich wieder schlafen konnte. Inzwischen raubten mir meine zuckenden Beine zusätzlich den Schlaf. Risiko? Egal. Zumal die Ärzte mir sogar Hoffnung machten, dass die Beinzuckungen nach der OP verschwinden könnten.
So kam es zwar nicht, aber fürs Erste ging es mir nach der OP besser. Bald stand die nächste Reha an (Aktuell habe ich dreizehn Reha hinter mir). Tagsüber machte sich in der Reha leichte Euphorie breit, weil es aufwärtsging – doch abends kam der Dämpfer: Je mehr ich in der Reha an mir arbeitete, desto schlimmer wurde das Beinzucken abends. Wieder folgten schlaflose Nächte, bis ich um ein Gespräch mit der Reha-Ärztin bat.
Ich schilderte ihr mein Problem und rechnete fest damit, dass sie mich in die Schublade „unmotivierter Patient“ stecken würde. Doch ihre Antwort haute mich um.
Sinngemäß sagte sie trocken: „Damit liegt Ihre Reha auf Eis, bis eine neurologische Abklärung erfolgt ist. Ein Neurologe wird Ihnen wahrscheinlich zuerst Dopamin verschreiben. Wenn es hilft, haben Sie Parkinson. Wenn nicht, muss weitergeschaut werden.“
Gut, inzwischen weiß ich, dass die Ärztin sich die Diagnostik damals etwas zu einfach gemacht hat.

Aber damals war das ein Schlag in die Magengrube. Bis dahin bestand meine Strategie im Umgang mit Krankheiten aus Verdrängung und „Augen zu und durch“. Keine Beipackzettel lesen, keine Krankheiten googeln.
Mit Parkinson hatte ich ganz andere Vorstellungen verbunden – nie hätte ich mit einer so trockenen, vorschnellen Diagnose gerechnet. Und als wäre das nicht genug gewesen, gab es noch eine andere Belastung, die ich für den weiteren Verlauf meiner Krankheiten mitverantwortlich mache: Meine älteste Tochter wurde 2016, noch minderjährig, Opfer eines Gewaltverbrechens.
Nichts hat mich mehr aus der Bahn geworfen als das, was ihr angetan wurde.
Mein Nervenkostüm war also bereits ruiniert, als ich schließlich beim Neurologen saß. Der nahm mir zunächst die Angst vor Parkinson. Stattdessen vermutete er ein Restless-Legs-Syndrom (RLS) – eine Krankheit, von der ich zuvor noch nie gehört hatte.

Doch wirklich überzeugt war ich von dieser Diagnose nie. Zum einen wird RLS dadurch beschrieben, dass Betroffene einen unwiderstehlichen Drang verspüren, sich zu bewegen – was bei mir nie der Fall war. Zum anderen werden die Bewegungen als „Zucken“ beschrieben, während ich sie eher als „Austreten“ wahrnahm. Meine Beine zucken nicht – sie treten so stark aus, dass meine Hüften mit angehoben werden.
Egal. Zunächst galt die Diagnose RLS. Zumal mein Medikament, Levodopa, half und ich endlich wieder schlafen konnte. Doch das war nur ein kurzer Segen – nach wenigen Monaten begann das Beinzucken erneut.
Es folgten Dopaminpflaster – wieder halfen diese einige Monate. Doch im Kopf fühlten sich diese Medikamente schrecklich an.
Irgendwann wusste mein Neurologe nicht mehr weiter und brachte erneut Parkinson ins Spiel – unter anderem, weil ich längst eine Wirkstoffmenge erhielt, die auch Parkinson-Patienten bekommen.
Nachdem sich meine Haut, eine Nebenwirkung der Pflaster, anfing sich großflächig abzulösen, wurde ich in die Paracelsus-Klinik Kassel überwiesen. Dort stellte sich heraus, dass mein Neurologe mir eine völlig überhöhte Dosis verschrieben hatte: Statt der maximal vier Dopaminpflaster für RLS trug ich täglich sechzehn.
Nach mehreren Aufenthalten in Kassel wurde ich auf Pregabalin und Pramipexol umgestellt. Oxycodon bekam ich ohnehin gegen die Schmerzen, nun allerdings als Targin (eine Kombination aus Oxycodon und Naloxon).
Haken daran: Targin hatte keine offizielle Zulassung für RLS. Doch aufgrund meiner atypischen Symptome übernahm die Krankenkasse die Kosten. Von da an galt die Diagnose als „atypisches RLS“.
Seitdem wurden meine Beschwerden bei Bedarf mit immer höheren Dosen Targin, Pregabalin und Pramipexol abgefangen. 2017 kam Cannabis hinzu. Aktuell erhalte ich Pedanios 29/1 (eine der stärksten Blütensorten) sowie Tilray-Tropfen.
Nicht alles am Cannabis sehe ich positiv, aber das ist ein eigenes Thema. Im Fall meines RLS schätze ich jedoch, dass mir die tägliche Dosis von 3 gr Pedanios-Blüten 15–20 mg Targin ersetzt. Lieber Hasch als Heroin.

Mittlerweile haben sich meine Beschwerden auch auf die Arme ausgeweitet – für mich noch unangenehmer als das Beinzucken. Eine Alternative zu meinem Medikamentenspiegel gibt es laut Ärzten nicht.
Doch die Medikamente fressen mich auf.
Erst in den letzten Jahren habe ich mich intensiv damit beschäftigt, was ich mir da eigentlich regelmäßig einwerfe – wohl bis zum Lebensende. Und auf dieser Basis habe ich eine eigene, laienhafte Theorie über meine Erkrankung entwickelt.
Jeder Mediziner könnte mir vorwerfen, dass ich ohne Fachwissen spekuliere – und doch möchte ich diese Theorie bald mit euch teilen.
Bis hierhin erst einmal Dankeschön für eure Zeit.
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